Was Suhrer Landwirte alles tun, damit der Turmfalke und andere Vögel zurückkommen

Es gibt nicht nur schlechte Nachrichten zu den Kulturlandvögeln im Aargau. Das sagt der Landwirt und Grüne-Grossrat Thomas Baumann aus Suhr. Wenn man den Boden nachhaltig bewirtschaftet, kommen viele einst verschwundene Tiere zurück.

Letzten Samstag berichteten wir an dieser Stelle über den dramatischen Rückgang bestimmter Kulturlandvögel, insbesondere Baumpieper, Gartenrotschwanze und Neuntöter. Sie waren einst weit verbreitet und sind heute im Aargau kaum noch anzutreffen. Kanton und Naturschutzverbände wie BirdLife Aargau unternehmen grosse Anstrengungen, um Gegensteuer zu geben.

Suhrer Landwirt: Nachhaltigkeit, damit Vögel zurückkommen
Es gibt nicht nur schlechte Nachrichten zu den Kulturlandvögeln im Aargau. Das sagt der Landwirt und Grüne-Grossrat Thomas Baumann aus Suhr. Wenn man den Boden nachhaltig bewirtschaftet, kommen viele einst verschwundene Tiere zurück.

💡 Dieser Artikel ist erstmals am 24.07.2022 in der Aargauer Zeitung erschienen.

So fördert der Kanton mit dem Programm «Landwirtschaft – Biodiversität – Landschaft» (Labiola) gemeinwirtschaftliche Leistungen der Landwirtschaft im Kulturland. Denn hochwertige Biodiversitätsförderflächen sind für die Erhaltung und Förderung vieler Tier- und Pflanzenarten wichtig. Vielfältige Kulturlandschaften haben zudem als attraktiver Wohn- und Erholungsraum eine grosse Bedeutung. Auf freiwilliger Basis werden zwischen Kanton und Landwirtinnen und Landwirten Labiola-Bewirtschaftungsverträge für jeweils acht Jahre abgeschlossen.

«Das bringt viel», sagt der Landwirt, grüne Gemeinderat und Grossrat aus Suhr, Thomas Baumann. Er und die anderen verbliebenen sieben Bauern in seiner Gemeinde machen seit Jahren in diesem Programm mit: «Das Besondere daran ist, dass wir Nahrungsmittelproduktion und Biodiversität kombinieren und mit beidem Einkommen erzielen können. Darüber hinaus hilft dies der Standortattraktivität unserer Gemeinde, weil wir so vielfältige Naherholungsgebiete bekommen», sagt Baumann.

Freiwillig 18 Prozent ass hochwertige Naturflächen

Vor 12 Jahren brachte der Gemeinderat die Suhrer Bäuerinnen und Bauern und das kantonale Programm Labiola erfolgreich zusammen. Statt der minimal geforderten sieben Prozent Biodiversitätsflächen bewirtschaften die Suhrer Landwirtinnen heute freiwillig 18 Prozent ihrer Hoffläche als hochwertige Naturflächen. Anfangs sei Suhr deshalb bei vielen Bauern aus der Umgebung geradezu verrufen gewesen, erinnert sich Baumann: «Zusehends werden wir aber zum Nachahmungsmodell. Der Gemeinderat bekommt inzwischen Anfragen aus anderen Gemeinden, wie wir das machen, wie die Pachtverträge des gemeindeeigenen Landwirtschaftslandes aussehen usw.»

Der Mehrwert der Labiolagelder, die vom Bund und Kanton alimentiert werden, sei für unsere Gemeinde enorm: Die Landwirtschaft, die Bevölkerung und die Natur profitieren, so Baumann. Klar, hofft er, dass der Grosse Rat bei der nächsten Verlängerung des Labiola-Mehrjahresprogramms mehr Mittel spricht, damit das «Suhrer Modell» mit hohem gesamtgesellschaftlichen Wert auf den ganzen Kanton überschwappen kann.

Thomas Baumann und Johanna Heuberger in einem kleinen Stück gelichteten Wald auf dem Suhrerchopf. Ein Trampelpfad zeigt, dass die Bevölkerung auch dies gern nutzt. Bild: Michael Küng

In Suhr nehmen Bevölkerung und auch Brutvogelarten zu

Ihn freut sehr, dass es in einem dicht besiedelten Siedlungsraum wie Suhr sogar schon gelungen ist, gewisse Vogelarten zurückzuholen: «Bei uns brütet weiterhin die Feldlerche, Arten kamen dank der Anstrengungen der Landwirtschaft zurück, die wir hier seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben. Der Turmfalke zum Beispiel, der Neuntöter und die Goldammer brüten auch wieder in den neu angelegten Hecken. Das äusserst seltene Braunkehlchen fühlt sich neu jeweils ein paar Wochen im Frühjahr im Gebiet zwischen Suhr und Entfelden wohl.»

In den Distelmatten sind auf einem Abendspaziergang die Rufe der Kreuzkröten und der Gelbbauchunken wieder zu hören. Am Hang des Suhrerchopfes ist das Zirpen der Grillen zu vernehmen oder der Schachbrettfalter wieder zu beobachten. Im Winter war schon mal ein Schwarzstirnwürger zu Besuch. Baumann: «Als das bekannt wurde, reisten Vogelfreunde sogar aus Genf an, um ihn zu beobachten!»

Wenn die Menschen in ihrem nahen Umfeld so viel Natur erleben können, sei das identitätsstiftend, «sie fühlen sich dann daheim», und engagieren sich eher für Gemeindeaufgaben, ist Baumann überzeugt.

Ein Sonnenblumenfeld folgt auf hohe Sträucher, einen Steinhaufen für Tiere und einen schmalen Flur zwischen den Feldern. Bild: Michael Küng

Rationelle Bewirtschaftung auch mit dem Labiola-Programm

Die Gemeinde erkennt den Nutzen der Biodiversitätsförderung durch die Landwirtschaft und hilft, wo immer möglich. Um diese positiven Ansätze weiterzuentwickeln, ist zusammen mit der Landwirtschaft und der Bevölkerung ein Landwirtschafts-, Landschaftskonzept angedacht, so Baumann. Bei einem Rundgang in der Suhrer Landschaft zeigt sich das sehr gut. Die Felder sind rechteckig angelegt, die Biodiversitätsflächen befinden sich meist am Rande oder auf unförmigen «Restflächen», sodass die Felder rationell für die Nahrungsmittelproduktion bewirtschaftet werden können. So verläuft neben einem Maisfeld eine Niederhecke mit einem beidseitigen drei Meter breiten Krautsaum, dann kommt ein Zuckerrübenacker.

Die von der Landwirtschaft dank Labiola seit einigen Jahren abwechslungsreich gestaltete Landschaft sieht man besonders gut vom Suhrerchopf aus: Einzelbäume, kleinere und grössere Teiche, Niederhecken, Blühstreifen, Steinhaufen und andere Kleinstrukturen ergänzen landschaftlich die Weizen-, Mais- oder Sonnenblumenfelder. Vor dreissig Jahren, sagt Baumann, waren da nur intensiv bewirtschaftete Felder, kaum ein Baum oder eine Hecke. Eine tolle Leistung der Landwirtschaft!

Neue Trampelpfade: Oscars aus der Bevölkerung

Als er die ersten Felder nach Biodiversitätsgrundsätzen zu gestalten anfing, fielen ihm plötzlich Trampelpfade auf. «Erst ärgerte ich mich, dann besann ich mich. Die Menschen, die für unsere landwirtschaftlichen Bemühungen für die Biodiversität bezahlen, sollen diese doch auch hier geniessen können.» Die Trampelpfade den Feldern entlang sind nichts weniger «als der Oscar» für die Aufwertung durch die Landwirtschaft. Jetzt freue ich mich über all die Menschen, denen dies gefällt und die diese Pfade nutzen und dabei auf Tiere und Pflanzen Rücksicht nehmen und keinen Abfall hinterlassen».

Lebensmittelverschwendung bekämpfen statt mehr anbauen

Baumann betrachtet die aktuelle Forderung, mehr Nahrungsmittel zu produzieren, um den Selbstversorgungsgrad zu steigern, kritisch. Die heutige landwirtschaftliche Produktion ist sehr energieaufwendig und vollständig abhängig vom Erdöl. Verringern wir durch Mehranbau die Nahrungsmittelimporte, steige die Abhängigkeit im Energiesektor, mahnt er. Daher mache die Forderung, Biodiversitätsflächen in Äcker umzuwandeln, keinen Sinn. Für die Gemeinde Suhr und die Natur wäre das extrem kontraproduktiv, so Baumann. Er verweist darauf, dass rund 30 Prozent der Lebensmittel irgendwo zwischen Feld und Teller verloren gehen und im Abfall landen: «Da ist ein riesiges Potenzial. Das müssen wir an die Hand nehmen.»

Wie eine Thurgauer Studentin als Praktikantin nach Suhr kam

Mit uns und dem Fotografen auf den Feldern unterwegs ist Johanna Heuberger. Ihr Dialekt verrät: Sie kommt aus der Ostschweiz, genauer aus dem Thurgau. Die zierliche junge Frau studiert an der ETH Zürich Agrarwissenschaften und macht auf Baumanns Galeggenhof ein zum Studium gehörendes zehnwöchiges Praktikum.

Wie kam sie nach Suhr? Es habe sich gezeigt, dass ihr Vater und Thomas Baumann einst zusammen studiert haben, sagt Heuberger: «Und ich wollte auf einen Biobetrieb, um mein Wissen in der Praxis anwenden zu können und um zu sehen, wo sich Konflikte auftun und wie man diese erfolgversprechend angehen kann.» Dabei könne man etwa in der Praxis vor Ort die Vor- und Nachteile des Weizenanbaus und von vielem anderen mehr diskutieren. Dabei leuchten ihre Augen, das gefällt ihr augenscheinlich sehr.

Das Praktikum findet sie sehr sinnvoll, sagt sie, sehe sie hier doch, dass das, was in der Theorie so klar und einfach scheint, in der Realität manchmal doch seine Tücken hat. Wobei Heuberger schon sehr viel diesbezügliches Know-how mitbringt, führen ihre Eltern im Thurgau doch einen Milchwirtschaftsbetrieb. Will sie den dereinst übernehmen? Heuberger lächelt zurückhaltend: «Mein Ziel ist, in der Entwicklungshilfe mitzuhelfen, nachhaltige Nahrungsmittel zu produzieren.»

Trampelpfade zeigen: Die Menschen haben das Kleinod längst entdeckt

Unser Blick schweift vom Feld gut 150 Meter zur stark befahrenen Strasse zwischen Suhr und Entfelden. Wer einfach daran vorbeifährt, weiss nichts von der Vielfalt wenige Meter neben der Strasse. Dass diese aber von vielen längst entdeckt worden ist, davon zeugen weitere Trampelpfade zwischen den Feldern.